Soziale Dienste Berlin-Brandenburg e.V.

- Sozial und Systemisch -


Die Überzeugung des Gerichts –
prekäre Gutachten und andere Katastrophen im familiengerichtlichen Verfahren

Fortbildung für Fachanwälte für Familienrecht gem. §15 FAO, Rechtsanwälte im Familienrecht und andere gerichtsnah tätige Fachkräfte.


Kindschaftsrechtliche Verfahren sind geprägt von Emotionen, Konflikten und hohen Erwartun-gen. Gerade in diesem Rechtsgebiet sind neben der rechtlichen Qualifikation psychologische Kompetenzen und eine gut ausgeprägte Reflexionsfähigkeit unverzichtbar.
Aktuell ist wiederum eine Polarisierung von Elterninitiativen und -verbänden feststellbar, die sich naheliegend auf das Konfliktverhalten von Eltern überträgt. Das familiengerichtliche System wird unter Druck gesetzt – und damit auch tradierte Entscheidungsregelungen.


Gleichstellung von Eltern, Gewalt und Machtverhältnisse in der Beziehung – ist die Familiengerichtsbarkeit mit diesen Themen, die gerade jetzt wieder paradigmatisch vorgetragen werden, überfordert? Gelingt es, seit ca. 20 Jahren entwickelte Werte trotz erheblicher Widerstände und neu resultierenden, sich mit der Forderung von gemeinsamen Erziehungshandel verschärfenden Konfliktkonstellationen umzusetzen?
Es könnte und kann sehr einfach sein – vielen Trennungseltern gelingt ein Arrangement, dass auch tragfähig ist. Ein kleinerer Teil versucht sein Glück durch familiengerichtliche Antragstellungen – die Motivation kann offenbar vielschichtig sein. Ein noch kleinerer Teil kann Familiengerichte über alle Instanzen – und nach Durchlauf wieder von vorne – über viele Jahre beschäftigen.

Obwohl wir alle „die Guten“ sind. Manche Fachkräfte beanspruchen, für die Vertretung des Kindeswohls zuständig zu sein – wir nehmen es vielleicht als ersten Hinweis zur Entwicklung möglicher Differenzen zwischen Helfersystem und Elterninteressen.


Aus systemischer Sicht sind Symptome nicht als Merkmal eines Einzelnen zu verstehen – sondern als Störung im (familiären oder familiengerichtlichen) System. Gleichwohl wissen wir, dass ein Aggressor ausreicht, um einen Krieg unvermeidlich voranzutragen.

Viele etablierte Logiken der Familiengerichtsbarkeit können auf den Prüfstand gestellt werden. Etwa, dass allein das Vorhandensein eines Elternkonflikts Entscheidungen nach §1671 BGB oder zur Ablehnung eines – mehr oder weniger – paritätischen Betreuungsmodells führen soll, ohne die Hintergründe und mögliche Perspektiven einzubeziehen.

Auch die entscheidungsrelevanten, allgemeinen Kindeswohlkriterien (vgl. beispielhaft OLG Celle: Celler Empfehlungen zu inhaltlichen Anforderungen an Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen vom 1.8.2015) wie:

  • Förderungsprinzip/Erziehungseignung
  • Kontinuitätsprinzip
  • Bindungen des Kindes
  • Wille des Kindes
  • Bindungstoleranz

stehen in Frage. Neben vielfältigen methodischen Problemen der Bewertung werden diese Kriterien z.B. aktuell durch Elterninitiativen problematisiert (z.B. Vorrang von Kontinuität oder Bindungstoleranz?) und in der Fachliteratur kontrovers diskutiert. Faktisch muss wohl festgestellt werden, dass sonstige Bedingungen der Partnerschaft, des Konfliktverlaufs und der sozialen Umstände häufig die Meinungsbildung der Verfahrensbeteiligten bestimmen.

Die Bewertung von Vorwürfen häuslicher Gewalt wie auch sexueller Übergriffigkeit fällt häufig schwer und kann dennoch verfahrensrelevante Bedeutung erlangen.  Eventuell müssten Machtungleichgewichte im Partnerschaftsverhältnis höhere Aufmerksamkeit erfahren.

Infrage stehen weiterhin Entscheidungen nach §1666. Dieses insbesondere, weil sie kaum öffentlich diskutiert werden und Qualitäten der Jugendhilfe eine hohe Variabilität aufweisen.

Es gibt keinen festen Boden – darin wollen wir Sie bestätigen. Vieles ist möglich – es gibt kaum eine alternierende Entscheidung, die nicht auch hinterfragbar ist. Vieles hängt von der Person des Richters / der Richterin ab - also der fachlichen Perspektive und als der "Überzeugung" - aus eigener Willensbildung und durch Einwirkung der Verfahrensbeteiligten.


Jeanette Goslar wird Ihnen familienrechtliche Verfahren aus Sicht der neurologischen bzw. Gehirnforschung darstellen. Wie funktionieren Wahrnehmung und Erinnerung? Welche Fehlerquellen treten in der Informationsverarbeitung auf? Welchen Einfluss hat die Persönlichkeit der Verfahrensbeteiligten, insbesondere auch des Gutachters, auf das Verfahren? Wie können Sie Fehler und Einflussfaktoren erkennen und im Verfahren sichtbar machen?

Ein Lösungsansatz aus neuropsychologischer Perspektive.


Dr. Herwig Grote wird aufzeigen, dass jede wissenschaftliche Arbeit vielfältig hinterfragbar ist – und damit auch jedes familienrechtliche Gutachten. Familienrechtliche Gutachten auf Ebene von Mindeststandards können keinen gehobenen / hinreichenden Qualitätsanspruch erheben – der Erkenntnishorizont psychologischer Methodologie ist begrenzt und anfällig für die Produktion von Artefakten.

Eine Anleitung zur Hinterfragung auch vermeintlich überzeugender Sachverständigengutachten.


Dozenten:
Jeanette Goslar: Volljuristin (20 jährige Berufserfahrung als RA‘in, FA Strafrecht), Dipl.-Kriminologin, systemische Therapeutin (SG) und Master of cognitive Neuro-science (AON). Weitere Informationen zur Person: https://www.jego-seminare.com.
Dr. Herwig Grote: Diplom-Soziologe, systemischer Therapeut / Familientherapeut (DGSF), Sach-verständiger und Privatgutachter im Kindschaftsrecht. Weitere Informationen zur Person: https://www.herwig-grote.de.


Eintägiges Seminar, jeweils von 9.00 bis 18.00 inkl. kurzer Pausen und einer einstündigen Mittagspause.
Bescheinigungen gem. §15 FAO werden erteilt für 7,5 h effektive Zeitstunden.
Das Seminar wird in Präsenz angeboten. Der Veranstaltungsort ist in Berlin-Mitte.

Termine:
Freitag, 20. Oktober 2023
Freitag, 01. Dezember 2023 (nur online)
Freitag, 16. Februar 2024 (präsens / hybrid)

Kosten:

365,- € (USt-befreit) incl. Skript und TN-Bescheinigung sowie Getränke und Snacks in der Kaffeepause.