Soziale Dienste Berlin-Brandenburg e.V.

- Sozial und Systemisch -


Aktuelles zur Familiengerichtsbarkeit

Der Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Änderung weiterer Verfahrensvorschriften nebst Synopse wurde am 24. Juli 2024 veröffentlicht. Referentenentwurf und Synopse finden sich auf https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/2024_FamFG_Aenderung.html?nn=110490. Für Verfahrensbeistände ist insbesondere ein Erhöhung der Honorare vorgesehen - seit dem Jahr 2009 hat es keine Anpassung gegeben.


Es gibt eine öffentliche Replik auf den Artikel von Janin Zimmermann, Jörg Fichtner, Sabine Walper, Ulrike Lux, Heinz Kindler (2023): Verdorbener Wein in neuen Schläuchen. (siehe den Kommentar unten).  Hier geht es zur Stellungnahme des KIMISS-Instituts der Uni Tübingen: https://www.kimiss.uni-tuebingen.de/de/pa01dji.html.


Endlich, acht Jahre nach Studienbegin, wurden Ergebnisse der Petermann-Studie "Kindeswohl und Umgangsrecht“ – Wohlergehen von Kindern in Trennungsfamilien - veröffentlicht. Der Befundbericht mit Datum vom 28.07.2023 steht auf der Website vom Projekt Petra zum download bereit: https://projekt-petra.de/de/studie-kindeswohl-und-umgangsrecht.

Die Studie scheint von Beginn an sehr umkämpft gewesen zu sein. Als wesentlicher Mangel erscheint mir, dass die angestrebte Stichprobengröße nicht annähernd erreicht wurde (nur 490 anstatt 1.200 Eltern), so dass differenzierte Aussagen zur Frage, unter welchen Bedingungen "Wechselmodelle" oder auch paritätische Betreuungen sinnvoll sind, nicht abgeleitet werden konnten. Die zentrale Aussage ist wohl, dass umfängliche Betreuungen durch beiden Eltern "an sich" günstig für die Entwicklung von Kindern seien.

Die Präsentation des BMFSFJ findet sich auf: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/kinder-in-trennungsfamilien-staerken-und-ihre-anliegen-beruecksichtigen-229046.

Kritische Diskussionsbeiträge finden sich auf https://vaeteraufbruch.de/kindeswohlstudie/die-studie und https://kindeswohlundumgangsrecht.de/.


Die ZKJ veröffentlicht Herbst 2023 mehrere Artikel zur Verfahrensbeistandsschaft. Vergleiche zwischen den Rechtsinstituten in Österreich und Deutschland legen erheblichen Handlungs- bzw. zumindest Diskussionbedarf nahe. Vergleiche das Editorial in ZKJ 9/10 2023 von Stefan Heilmann: Vorgetragen wird, dass in der jetzigen Konstruktion im Deutschland nicht von einer wirklichen Unabhängigkeit des Verfahrensbeistandes auszugehen sei. Um geeignete und hochqualifizierte Verfahrensbeistände zu gewinnen, sei eine Anhebung der Vergütungspauschalen dringend notwendig.


Erfordert die Begutachtung bei strittigen Betreuungsregelungen bei getrennt lebenden Eltern ein anderes Vorgehen?

Diese Meinung vertreten zumindest Josef Salzgeber und Katharina Bublath in ihrem gleichnamigen Artikel (NZFam, 19/2023, S. 865 ff.). Zumindest bei sozial etablierten Eltern mit beidseitig hinreichender Erziehungsfähigkeit mache es wenig Sinn, die üblichen Kindeswohlkriterien (Beziehungen des Kindes, Bindungstoleranz, Kontinuität, Wille des Kindes, Förderkompetenz) bei nur geringgradigen Unterschieden herbeizuziehen. Vorgeschlagen werden andere Kriterien wie z.B. Mental Load (unsichtbarer Anteil an der Erziehung inkl. Verantwortungsübernahme), Co-Parenting auch im Kontext von Patchwork-Familien, Umgebungsaspekte und nicht zuletzt die Qualität der Elternbeziehung bzw. des Elternkonfliktes. Die Reorganisation der Familie, die Aufteilung der Funktionalität (nicht die Aufteilung der Betreuungszeit) sollte im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Mich erinnert der Vorschlag sehr an: Fthenakis, Wassikios E. u.a. (2008): Die Familie nach der Familie. Wissen und Hilfen bei Elterntrennung und neuen Beziehungen. Verlag C.H.Beck.


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Hier folgen einige Beiträge zwischen Sommer 2022 und September 2023 (chronologisch aufsteigend) zur Familiengerichtsbarkeit und zur Regelung von Umgangs- bzw. Wechselmodellen nach Trennung bzw. Scheidung. Erwähnenswert erscheinen insbesondere:

  • Menno Baumann, Charlotte Michel-Biegel, Stefan Rücker, Marc Serafin, Reinhard Wiesner (2022): Zur Notwendigkeit professioneller Intervention bei Eltern-Kind-Entfremdung – Teil 1 in ZKJ 7-2022 und Teil 2 in ZKJ 8-2022. Zentrale Thesen: Das Phänomen der Eltern-Kind-Entfremdung stelle ein erhebliches Gefährdungspotential für Kinder und Jugendliche dar. Fachlich abgestimmtes Handeln aller beteiligter Systeme sei notwendig. Gefordert wird vom Gesetzgeber, §1684 Abs. 3 Satz 2 BGB (Umgangspflegschaft) nachzubessern. Vergleiche die Doku unter: https://www.papa-mama-auch.de/fachaufsatz-zkj-zu-eltern-kind-entfremdung.
  • Ein neuer Sammelband von Körner und Hörmann mit sehr unterschiedlichen Beiträgen zur Familiengerichtsbarkeit wurde unmittelbar nach Erscheinen vom Verlag zurückgezogen. Gründe sind nicht bekannt. W. Körner & G. Hörmann (Hrsg., 2022): Familienrechtliche Gutachten und Verfahren auf dem Prüfstand. Informationen für Betroffene, Sachverständige, Jurist:innen, Psycholog:innen und Jugendamtsmitarbeiter:innen. Weinheim: Beltz Juventa.
  • Janin Zimmermann, Jörg Fichtner, Sabine Walper, Ulrike Lux, Heinz Kindler (2023): Verdorbener Wein in neuen Schläuchen. Teil 1 in ZKJ 2-2023 und Teil 2 in ZKJ 3-2023. Die Autorengruppe übt ungewöhnlich erscheinende, scharfe Kritik an dem o.g. Artikel von Baumann et al. Vorgeworfen wird der Autorengruppe um Baumann, dass diese sich am Konzept von Gardner, also dem Parental Alienation bzw. Parental Alienationssyndrom, orientieren - bereits der Begriff der "Eltern-Kind-Entfremdung" sei überholt. Am Naturrecht orientierte gesetzliche Vermutungen könnten durch die Sozialwissenschaften nicht einfach übernommen werden - Ursachen für "Kontaktprobleme und Kontaktverweigerung" seien vielfältig und müssten entsprechend diagnostisch berücksichtigt werden. Von Baumann et al. erklärend dargestellte Loyalitätskonflikte von Kindern und Jugendlichen seien nicht hinreichend, ihre Annahme schwerer psychosozialer Folgen einer Entfremdung / eines Kontaktverlustes sei unzulässig generalisierend. Mein Eindruck: Die Kritik ist, wenn auch teils berechtigt, völlig überzogen und verkennt das primäre Anliegen von Baumann et al., Vorschläge für die Jugendhilfe-Praxis und damit eines zeitnahen Einwirkens bei drohender Entfremdung / eines Kontaktverlustes zu entwickeln. Beschlüsse des EGMR belegen die Verantwortung der Mitgliedstaaten, bei Eltern-Kind-Entfremdung angemessen zu intervenieren. Vergleiche die Dokumentation solcher Beschlüsse: https://www.papa-mama-auch.de/egmr-urteile.
  • OLG Celle: Anlässlich einer drohenden Inhaftierung einer Mutter aufgrund eines Beschlusses des OLG Celle wegen Missachtung familiengerichtlicher Beschlüsse baut sich Widerstand auf. In Hannover fand eine Demo statt. Christina Mundlos hat eine Petition gestartet: https://www.change.org/p/stoppen-sie-kindeswohlgef%C3%A4hrdungen-durch-das-olg-celle?redirect=false. Explizit wird auf die Studie von Wolfgang Hammer (s.o.) Bezug genommen. Die Bewertung des konkreten Falls wie auch der aufgebauten Kampagne ist zumindest umstritten - der Väteraufbruch für Kinder (VAfK) hat kritische Stellungnahmen abgegeben. Eine Stellungnahme des VAfK findet sich auf: http://www.vafk-leipzig.de. Die TAZ kommentierte den Fallverlauf mit Stand zum 9.02.2023: https://taz.de/Sorgerechtsstreit-in-Hannover/!5911008.
  • Mein aktueller Eindruck zum Fall Anette W. : Bereits in den vorhergehenden Verfahren scheint einiges nicht gut gelaufen zu sein. Überzogene Eingriffe gegen Mütter und entgegen dem bekundeten Kindeswillen habe ich in eigener Praxis kennengelernt. Aber selbstverständlich gibt es auch eine andere Seite bzw. mehrere andere Seiten und Sichtweisen. Mir stellt sich die Frage, wie derart riskante Entwicklungen mit erheblicher Beeinträchtigung des Kindeswohls vermieden werden können. Seit einigen Monaten (Stand August 2023) habe ich zum Fortgang der Auseinandersetzung nichts gehört.

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Hansjörg Krieg (Staufermedaille für ehrenamtliche Tätigkeit),  Hans-Christian Prestien (Familienrichter a.D.) , Markus Witt als ehemaliger Vorsitzender des VafK sowie Uwe Jopt (FSLS etc.) werden als Vertreter der „Entfremdungstheorie“ angegriffen und in den Zusammenhang mit rechten politischen Kreisen (AFD, Lega Nord) gesetzt. Der FDP wird unterstellt, sich als Männerpartei von Väterlobbyisten einspannen zu lassen (vgl. Antrag der FDP im Bundestag zum Wechselmodell als Regelmodell).
Mir erscheint sehr problematisch, in diesem sensiblen Feld mit persönlichen Diffamierungen und fachlich verkürzten Darstellungen von grundlegenden Problemen der Familiengerichtsbarkeit (z.B. Väter üben Gewalt aus – versus – Frauen entfremden Kinder vom Vater) zu arbeiten. Und: Der Begriff der Eltern-Kind-Entfremdung ist meines Erachtens keineswegs gleichzusetzen mit dem Begriff des PA/PAS von Gardener.
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